Über die allmähliche Veränderung meiner bildhauerischen Intentionen.

1980 – Samen. Im Anfang war die Abstraktion – auf der Suche nach der reinen Form, nach Urformen, im Sinne von Goethes Idee der Urpflanze, einer Urform, die alle möglichen Metamorphosen in sich birgt, etwa wie Brancusis Ei als „commencement du monde“. Im Unterschied zu seinen vielfach von Tierformen ausgehenden Abstraktionen waren Pflanzenformen Ausgangspunkt meiner Versuche. Dabei faszinierte mich immer der Impuls, die Andeutung von Bewegung, die elementaren Gesten des Stauung und Dehnung, der Verzweigung und Ausbreitung, im Wurzeln, im Geäst, in Knospen und vor allem in Samenformen: Samen – dem Sinnbild unermesslichen  Potentials. Wichtig war dabei immer: nicht die abgeschlossene, in sich ruhende Form, sondern die über die kompakte Form hinaus weisende Spannung zu realisieren, die Öffnung zum Raum, den Umraum in der Konkaven einzuformen, Form als Dialog von Aus- und Einwirkung zu verstehen. Almählich in Gegensatz zum wichtigen Vorbild  Brancusi geratend, der das Konkave, die Höhlung und damit den Schatten mied wie den Teufel. Eine in diesem Sinn über viele Jahre wirksame Lektüre war Kurt Badts Text  „Über das Plastische“ als einer Qualität, welche sich allein im Konvexen realisiert.

Keim – 1990.
Bei genauem Hinsehen habe ich in allen Formen das Konvexe mit einbezogen – die eingezogenen Zonen machen ihrerseits die gewölbten sprechender. Die Elementarität und komplementäre Unverzichtbarkeit von Konvexem und Konkavem wurde mir erst beim Kopieren spätgotischer Krabben in der Basler Münsterbauhütte befreiend bewusst.  Die Schönheit von Naturformen wurde insgesamt zu einem Massstab, weil diese in ihrer Schlüssigkeit und Ökonomie zeitlose Gültigkeit haben - abgesehen von Zuchtformen sind Naturformen kaum dem flüchtigen Wechsel modischen Geschmacks ausgeliefert. Ähnlich massgebend wurden Kunstformen, die - einmal als Formel oder Partitur erfunden - über längere Zeiträume zahllosen neue Interpretationen auszulösen vermochten. So etwa die Kykladenfiguren, die Formen von Voluten und Palmetten oder gotisches Masswerk. Der Anspruch, zeitlose Sinnzeichen zu schaffen verband sich selbstverständlich mit dem Werkstoff Stein.
Wesentliche Orientierungsgrössen der Formensprache waren dabei die ägyptische und archaischgriechische Skulptur sowie die Bildhauerei der Khmer wie ich sie im Pariser Musée Guimet kennenlernte.
Als eine der Geschichte entrückte Sinnfigur verstehe ich die Versuchsreihe um das Thema Kopf:

Kopf – 1995.
Es handelt sich dabei um die Erfindung der Formel eines Kopfes in zweifach lesbarer Gestik. Einerseits einer breit aufsteigenden, einer Pharaonenperücke ähnlichen Fläche über die Stirn  in die schmal gefasste  Engführung des Gesichts bis zur Rundung des Kinns führend. Eine für meinen Blick evidente Metapher für den Prozess von Erfahrung, Reflexion, Entscheidung und Tat. Eine derartige physiognomische Deutung entspricht meiner Wahrnehmung der Gestalt  des menschlichen Kopfes – in diesem Sinn ist diese Formreihe ebenso als als Abstraktion von Beobachtungen wie auch als Konkretion eines Gedankens zu verstehen. Umgekehrt können die Köpfe  auch von einem sich pflanzenhaft aufrichtenden Hals aus gelesen werden, über das Schädeldach beugt sich so die Bewegung und breitet sich in eine offene Gesichtsfläche aus. Als sekundäres, dennoch mehr als nur formales Thema macht sich hier bereits der Anspruch autonomer Form bemerkbar: ich versuchte eine ebene, nicht eigens und gleichwertig wie die anderen Partien geformten Standfuge zu vermeiden – ein Anforderung die sich als solche explizit erst gegenüber einer Fragment -Thematik wie dem Kopf herausstellen konnte.  Als Zeichen sollte die Kopfform ein Ganzes sein, rundum- und durchgeformt, auch in jenen Zonen, die nicht darauf angelegt sind, sich zu zeigen.

2000 – Sizilien.
Ohne inhaltliche Vorgaben und ohne vorbereitende Skizzen in unförmigem Werkstoff  zu arbeiten versuchte ich während zweier längerer Sizilienaufenthalte. Der Versuch, mich vom amorphen Wuchern im Kochen erstarrten Magmas verführen zu lassen, wirkte befreiend. Das Groteske nahm mich mit seiner grenzenlosen Vielfalt  für sich ein, provozierte aber umso stärker wieder das Bedürfnis in prägnanter, einfacher Gestalt unverwechselbare Ideen zu generieren, Fassungen für Unfassbares, Ungefasstes – wie eben auch ein Rätsel einer zugespitzten formulierung bedarf, um die Intelligenz zu reizen. Was in diesem Bestreben vordergründig als handwerklicher Perfektionismus erscheinen mag, dient allein zur Prüfung der Schlüssigkeit der Form, das heisst der Logik der Formidee. Der (serientaugliche) Prototyp steht nicht etwa am Anfang, sondern am Ende des Entwicklungsprozesses. Demselben ziel dient die Variation: die beste Lösung zu finden, andererseits die Grenzen einer Formidee auszuloten in die Zonen, wo nicht nur eine andere Interpretation, sondern eine neue Formidee an den Tag kommt oder sich eine überraschende  Verwandschaft zu früheren Elaboraten zeigt. Metamorphosen in kleinen Schritten langweilen in ihrer Absehbarkeit, interessant sind die Momente des Sprungs, wenn eine Form grundsätzlich einen neuen Einschlag bekommt.

2004 – Minimalisierung der Bodenberührung.
Die Autonomie einer Formmonade zeigt sich am deutlichsten, wenn eine Form unabhängig von ihrer Lage, in allen möglichen Positionen überzeugend wirkt. Daraus entstehen Formideen (vielfach erst als zeichnerischer Entwurf realisiert), die auf drei Punkten oder auf einem Punkt und einer gekrümmten Linie stehen und die mit zugespitzten Extremitäten eine aggressive Unangreifbarkeit und Geschlossenheit markieren, Idées fixes, mit der Härte von Dornen, mit der Bestimmtheit des Zeigens.
Schubweise erfolgte über die Jahre eine teilweise Abkehr von doktrinärer Symmetrie – damit von einer Anspruchshaltung nicht etwa gegenüber der Ausgewogenheit der Form sondern gegenüber der Symmetrie als einer bestimmenden Rezeptionsvorgabe. Die symmetrische Form neigt dazu, den Betrachter wenn nicht gerade in die Knie, so doch immerhin geradewegs vor sich hin zu zwingen, sie verhält sich hieratisch, dominant. Ich verliess damit , den Sinnstiftungs- oder - behauptungsanspruch, was mich in den Bann der ägyptischen Schreiber, der thronenden oder schreitenden Pharaonen und Göttinen  gezogen hatte.  Danach wirken manche Formen verloren, thematisch nicht verortbar, referenzlos, absurd. 

2005 – ab und an.
Danach entstanden teilweise symmetrische, mehrheitlich aber wankende, leicht kippende Formen die ihrer minimalen Bodenberührung wegen wie gestrandete Fremdkörper wirken, psychische objets trouvés unbewusster Herkunft, zweckloses Zeug, nichts Bekanntes bedeutend. Im besten Fall  abstammungslose Form(er)findung. Dabei mache ich die Erfahrung, dass wir durch unsere mentale Disposition zwangshaft alles zu bedeuten, zu verorten suchen. Dies zeigt sich auch während des experimentellen Zeichnens in einer assoziativen, unzensurierten Titelei.

2008 – Die Form bestimmt die Lage.
Die Variation dieser wankenden Formen zeitigte eine gänzlich neue Einsicht: bereits kleine Gewichtsverschiebungen oder Proportionsveränderungen verändern auch die physikalischnatürliche Lage einer Skulptur. Darin erkannte ich – neben der plastisch verkörperten oder dargestellten Geste eine Geste zweiter Ordnung: Die Art und Weise des Sich-Zeigens, des In-den-Raum-Ragens wird bestimmt durch die Form und ist bestimmend für den Ausdruck.

2010 – Highheels.
Selten sind Gegenstände, physische Fundstücke, Ausgangspunkt gestalterischer Vorhaben. Vor einigen Jahren waren es die doppelt geschwungenen Füsse gusseiserner Badewannen welche mich - auf den Kopf gestellt in ihrem Vor-und-Zurück entzückten. Später waren es hölzerne Leisten der Schuhfabrikation welche eine Reihe von Versuchen provozierten. Aktuell entsteht eine Reihe von Formen die an Higheels orientiert sind, hölzern, vollplastisch, mit einer über den Rist sich gegen hinten  abschliessenden Oberseite – weder Schuh noch Fuss. Was mich offenkundig daran interessiert ist das, was den Fuss in bestimmter Verpackung, Inszenierung und  Gestik zum erotischen Faszinosum macht, was er zeigt, worauf er verweist, was er verspricht, was er verweigert. Nicht zufällig handelte es sich in allen drei Fällen um Füsse – es ist entscheidend, wie etwas den Boden berührt, sich mit dem Boden verbindet oder sich vom Boden abhebt. Berührung und Distanzierung sind im Highheel an ein und demselben Ding ins Extrem gesteigert. Merkwürdigerweise tanzen nun die ersten Versuche gewissermassen ontologisch aus der Reihe sämtlicher anderer Skulpturen. So dass ich die Schuhähnlichkeit zurückzunehmen versuche, zugunsten der reinen Geste die ich meine - ein erneuter Abstraktionsprozess, der wiederum dominanter die Attitüde der Erfindung beanspruchen dürfte.